Fünf Allendorfer Schulkinder bei der Explosion einer Bombe getötet

Hans-Albert Berghoff-Flüel erinnert sich als Augenzeuge an die unfassbaren Geschehnisse, als am 27. Juni 1940 fünf Allendorfer Schulkinder bei der Explosion einer Bombe getötet wurden. Sie galten als die ersten Zivitoten des Krieges.

 

„ So, jetzt reicht es, wir gehen nach Hause.“

Lehrer Wortmann, Leiter der so genannten „Kleinen Schule“ (Volksschulklassen 1 - 4) gab den Befehl zum Abmarsch von der „Bombenstelle“ im Alten Feld, die alle Schulklassen der Volksschule Allendorf am Vormittag des 27. Juni 1940, eines Donnerstags, aufgesucht hatten, um die Wirkung einer Bombe kennen zu lernen.

 

Am frühen Morgen hatte sich in Allendorf die Kunde herumgesprochen, dass in der Nacht im Alten Feld eine Fliegerbombe mit einer dumpfen Detonation eingeschlagen war. Deutschland befand sich seit dem 1. September 1939 mit England und Frankreich im Krieg, nachdem die Tschechoslowakei und Polen bereits besetzt waren. Ausnahmsweise durfte ich, an der Schwelle vom ersten zum zweiten Schuljahr, zusammen mit meinem Bruder in Begleitung unserer Eltern ins Alte Feld fahren, während die anderen Schüler mit den Lehrern Wenniges und Wortmann sich zu Fuß auf den Weg machten. Im Alten Feld angekommen, fanden wir oberhalb von Cramer-Gerken’ Wiese im Kartoffelacker eine große, ca. 10 bis 15 Meter Durchmesser reichende fast kreisrunde muldenförmige Einschlagstelle, übersät mit Geröll und Metallsplittern. Die offensichtlich mit Aufschlagzünder explodierte Bombe hatte die weiter in der Senke stehenden Eichen arg in Mitleidenschaft gezogen; sie waren zum Teil zerfetzt.

 

Da wir als erste an der Einschlagstelle waren, konnten mein Bruder und ich unsere Hosentaschen reichlich mit Splittern füllen als „Andenken“ an das in unserer Region bis dahin einmalige Kriegsereignis. Kurz vor 10 Uhr erreichten auch die Schüler der Volksschule Allendorf die Abwurfstelle. Wir ließen uns von unseren Lehrern die Wirkung von Bomben erklären und verinnerlichten ihre Ermahnungen, sorgfältig das nächtliche Verdunkelungsgebot einzuhalten. Beide Lehrer waren als Soldaten im Ersten Weltkrieg gewesen.

 

Mein Vater und meine Mutter fuhren mit dem Auto zurück, da mein Vater als Arzt in Allendorf seinen Sprechstundendienst antreten musste. Kurz bevor das Kommando der Lehrer zum Abmarsch erfolgte, bat mich mein Freund Albert Girhards noch um einige Bombensplitter mit dem Versprechen, mir nachmittags beim Suchen wilder Erdbeeren auf der Steinert zu helfen. Ich gab ihm einige Splitter aus meinem Vorrat. Er drehte sich noch einmal um in Richtung des Bombenkraters, während ich unter dem Zaun hindurch abwärts kroch, um mich den heimwärts gehenden Schülern anzuschließen. In diesem Augenblick erzitterte plötzlich die Erde. Es erfolgte eine gewaltige Detonation, und gleichzeitig schoss eine riesige Erdfontäne in den Himmel. Eine Druckwelle warf die meisten Schüler um. Ich zog blitzschnell meine Mantelkapuze über den Kopf, erhielt einen Schlag auf den Schädel und fiel zu Boden.

 

Nach dieser Explosion, die uns Unheil ahnen ließ, stoben wir auseinander, während Lehrer Wortmann noch rief: „Hinlegen!“

In panikartiger Flucht erreichten mein Bruder und ich das Fuchshohl, den Hohlen Weg und schließlich am Dorfrand Honigmanns Scheune. Dort kamen uns unsere Eltern, welche die Detonation gehört hatten, mit dem Auto entgegen. Sie waren schreckensbleich.

Wie ich später erfuhr, leistete mein Vater an der Stelle der Bombenexplosion, die zu einem Krater mit 3 bis 4 Metern Tiefe und einem Durchmesser von etwa 10 Metern geworden war, zwei schwer verletzten Frauen erste Hilfe. Es waren dies Theresia Specht und Elisabeth Becker. Gleichzeitig suchte er mit anderen Helfern in dem Kartoffelacker und vor allem in dem oberhalb des Weges hoch stehenden Hafer nach möglichen weiteren Opfern.

 

Wir Kinder blieben an diesem Schreckenstag daheim. Nach und nach erfuhren wir, dass mehrere Kinder von der Bombenexplosion getötet worden waren. Ich erinnere mich gut, dass unsere Nachbarin, Frau Hansknecht, in großer Sorge und Unruhe um ihre nicht zurückgekehrte Tochter Regina bis in den Nachmittag hinein durch die Straßen lief und jedem dieselbe Frage stellte: „Habt ihr unsere Regina gesehen?“

Nachdem die Feuerwehr und viele freiwillige Helfer bis in den Abend gesucht und die letzten Opfer bis zu 150 Meter von der Stelle der Detonation entfernt gefunden hatten, verdichtete sich das anfängliche Gerücht zur traurigen Gewissheit.

 

Fünf Schulkinder waren zu Tode gekommen:

- Bruno Schmidt-Brockhaus,

- Christine Merten,

- Franz Walter,

- Regina Hansknecht,

- Albert Girhards.

 

In einem großen Trauerzug, von Abordnungen der Nationalsozialistischen Partei, der SA und der Hitlerjugend aus Arnsberg zu einer propagandistischen Großdemonstration umfunktioniert, wurden unsere Schulkameraden am Sonntag, dem 30. Juni 1940, in fünf weißen Särgen zu Grabe getragen und auf dem Friedhof nebeneinander beigesetzt.